„Schade, daß Beton nicht brennt...“ Stadtplanung zwischen Partizipation und Protest 1940 – 1990

Sebastian Haumann

Der Wandel von einer technokratischen Stadtplanung der 1960er Jahre zu einer netzwerkorientierten partizipativen Planung seit den 1990ern wird zumeist auf Protest gegen Bau- und Sanierungsprojekte und die so genannten „neuen sozialen Bewegungen“ zurückgeführt. Diese These ist auch für die aktuelle Planungspolitik – etwa in Programmen wie der „Sozialen Stadt“ – konstitutiv. Allerdings existierten bereits in den 1960er Jahren Strukturen, die das Engagement kritischer Bürger begünstigt und entscheidend vorgeprägt haben. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, welche Traditionen und Strukturen es waren, die Protestanlässe und -strategien beeinflusst haben. Wie wurden diese Rahmenbedingungen von den Aktivisten gedeutet und aufgegriffen? Und wie wirkte der zweifellos konfrontativ ausgetragene Protest unter diesen Voraussetzungen auf das Entstehen von „neuen Planungskulturen“ zurück?

Der Begriff der „Planungskulturen“ ist für diese Fragestellung zentral. In Anlehnung an Klaus Selle handelt es sich um das Zusammenwirken von Leitbildern, institutionellen Rahmen-bedingungen, wie Gesetzen oder Entscheidungsverfahren, und Implementationsprozessen am konkreten Planungsgegenstand. Unter Berücksichtigung dieser drei Ebenen lässt sich ein zirkulär angelegtes Modell konzipieren, das sich auf die Wechselwirkung zwischen Leitbildern, institutionellen Rahmenbedingen und Implementation stützt. Selle hat das Bild des Regelkreises verwendet, um den Wandel dem „Planungskulturen“ unterliegen, zu interpretieren. Der hier verfolgte Ansatz stellt die Ebene der Implementationsprozesse in den Mittelpunkt. Sie sind nicht nur Ausdruck einer bestimmten Konstellation von Leitbildern und institutionellen Rahmenbedingungen, sondern machen diese auch anfällig für Kritik und Veränderung. Die Bedeutung von unintendierten Folgen und Varianzen ist in diesem Verständnis des Implementationsprozesses explizit angelegt. Sie bieten Anknüpfungspunkte für abweichende Perspektiven und alternative leitbildhafte Lösungsstrategien. Diesen Überlegungen folgend geht der Prozess der Konstruktion konkreter Planungsgegenstände auf der Ebene der Implementation schließlich, im zirkulären Modell gedacht, wieder in die Entstehung von Leitbildern und institutionellen Rahmenbedingen ein.

Mit der Analyse zweier umstrittener Planungen, dem Bau des „Crosstown Expressways“ in Philadelphia und der Umnutzung der „Stollwerck“-Fabrik in Köln, werden die Entwicklungen in den USA und der Bundesrepublik Deutschland vergleichend betrachtet. Die Auswahl der USA erfolgte wegen der überragenden Bedeutung des transatlantischen Ideentransfers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Arbeit stützt sich auf umfangreiche Archivbestände, insbesondere denen der Philadelphia City Archives, wo Unterlagen städtischer Behörden und Gremien aufbewahrt werden, und der Urban Archives der Temple University. Das Archiv umfasst eine umfangreiche Sammlung von Broschüren, Flugblättern, aber auch von Korrespondenz zahlreicher Bürgerorganisationen. In Köln ist eine ähnlich dichte Quellenlage im Historischen Archiv der Stadt Köln vorhanden. Dort befinden sich Unterlagen der kommunalen Behörden und der Bestand des KölnArchivs, einer Sammlung, die von Aktivisten der 1970er und 1980er Jahre zusammengetragen wurde. Mit den Beständen dieser Archive liegt eine quantitativ und qualitativ breite Quellenbasis vor.

Im Ergebnis zeigen die Charakteristika des Wandels der „Planungskulturen“ sowohl in Philadelphia als auch in Köln die Protestbewegungen in einer intermediären Rolle. Die Bedeutung des Protestes für eine Entwicklung hin zu einer Planungspolitik, die endogene Potentiale berücksichtigt, kann konstatiert werden, obwohl die Widerständigkeit von „Betroffenen“ diese Entwicklung nicht strukturiert hat. Ihr Einfluss lässt sich vielmehr in der spezifischen Ausprägung von partizipativen Verfahren nachweisen. Die Tendenzen des Wandlungsprozesses, den die Stadtplanung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchlief, waren Produkt eines vielschichtigen Zersetzungsprozesses des Modernismus, der bereits in den 1960er Jahren eingesetzt hatte. Ausgelöst wurde dieser Prozess zunächst einmal durch die immanente Ambivalenz modernistischer „Planungskulturen“. Der Protest der 1960er und 1970er Jahre überformte den Zersetzungsprozess des Modernismus. Dies gelang, weil die Aktivisten auf einzelne Elemente modernistischer Leitbilder rekurrierten, die als „Entmischungsprodukte“ der Zersetzung nach wie vor wirksam waren. Der Einfluss von Protest auf die Tatsache, dass neue „Planungskulturen“ entstanden, war minimal, dafür war dessen Einfluss auf die Frage, wie diese aussahen, umso wichtiger.

Die Dissertation wurde im September 2009 abgeschlossen und am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt eingereicht, im Januar 2010 verteidigt und mit der Note „mit Auszeichnung bestanden“ bewertet.

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